Ob politische, wirtschaftliche, soziale oder demografische – wenn sie die Menschen in Bulgarien fragen, ist die Krise keine Abweichung von der Norm, sondern ein Dauerzustand und das seit 20 Jahren. Der inflationäre Gebrauch des Wortes „Krise“ hat dessen eigentliche Bedeutung verblassen lassen. Der Bulgare, ein Humorist und von Natur aus noch größerer Ironiker, lebt in einer permanenten Krise und schafft es dennoch, immer wieder kreative Schutzmechanismen aufzubauen, um sich in der neuen Umgebung anzupassen.
Die Anpassung ist eine Sache, die Suche nach einem Sündenbock ist die andere. Meistens sind die Schuldigen die amtierenden Politiker, die mit dem nahenden Ende ihrer Regierungszeit immer öfter mit zweifelhaften Komplimenten beschmückt werden. Was der Bulgare richtig gut kann, ist fluchen. Und ich will mit dieser Ankündigung keinen neuen Wettbewerbsstreit um die Kunst des Fluchens mit den anderen Balkanvölkern provozieren.
Auch die derzeit amtierende Regierung kann sich vor dieser Flut an Worten nicht retten, auch wenn sie dachte, die Schuld für die aktuelle Wirtschaftskrise könne sie dem Westen oder den USA zuschieben. Doch so geschickt hat es die politische Elite nicht geschafft, als Retter der bulgarischen Wirtschaft in der weltweiten Rezession zu erscheinen. Es wurden viele Fehler gemacht, die der amtierenden Regierung ausgerechnet kurz vor den Parlamentswahlen zu Lasten liegen: der schlecht funktionierende institutionelle und administrative Sektor, Korruptionsskandale bei dem Umgang mit den EU-Fonds, kriminelle Machenschaften und spekulative Aktionen im Bau- und Tourismuswesen.
Meinungsforschungsinstitute prophezeien eine Niederlage der Sozialisten und den Wahlsieg für die politische Gruppierung um Boyko Borisov – GERB. Ist er der nächste Sündenbock für die fortdauernde Krise in Bulgarien? Ohne Zweifel, ja! Sogar noch vor der offiziellen Vereidigung.