Von wegen das Parlament habe beschränkte Entscheidungsrechte und unwesentliche Einflusskraft: Die Europaparlamentarier haben bei der Anhörung und Beurteilung von Kandidaten für die Europäische Kommission gezeigt, dass sie jede Aussage der Prätendenten ganz genau unter die Lupe nehmen bevor sie ihre Unterstützung aussprechen.
Die erste Wahl der bulgarischen Regierung für Kommissarin, Rumyana Jeleva, die damalige Außenministerin des Landes, hat das deutlich zu spüren bekommen. Ob ihre finanziellen Beteiligungen, das unprofessionelle Auftreten oder doch die politischen Machtspiele zwischen den zwei großen Fraktionen im EP der Grund für die Ablehnung der bulgarischen Kandidatin waren, ist eine Frage der Betrachtung.
Fakt ist, dass dieses Fiasko Auslöser heftiger Debatten in Brüssel war und schließlich zu einer beträchtlichen Verzögerung der Amtseinführung der zweiten Barroso-Kommission führte. Die bulgarische Regierung musste schnell eine neue Kandidatin finden und die Wahl fiel auf die Vizepräsidentin der Weltbank, Kristalina Georgieva. Sie sollte nun das Image Bulgariens retten und das ist ihr zunächst mit Bravour gelungen. Denn bei ihrer Anhörung schaffte sie es die Europaparlamentarier direkt zu überzeugen, wirkte souverän und kompetent in der Beantwortung der insgesamt 3 Stunden andauernden Befragung.
Erfolgreiche internationale Karriere
Kristalina Georgieva ist zwar ein Neuling in Brüssel, doch an ihrem Fachwissen und Führungskompetenzen zweifelt keiner. Sie verfügt über langjährige Berufserfahrung bei internationalen Organisationen und war auch im wissenschaftlichen Bereich an mehreren Universitäten weltweit tätig. Damit einher sieht der Eine oder Andere ihre schwache Verbindung zum bulgarischen parteipolitischen Mikrokosmus eher als vorteilhaft. Bevor sie ihre neue Stelle als Kommissarin für „Internationale Zusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Krisenreaktion“ im Februar 2010 antrat, war die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin Vizepräsidentin und Verwaltungsdirektorin der Weltbankgruppe.
Ihre Karriere begann sie an der Wirtschaftsuniversität in Sofia, wo sie nach ihrem Studium der politischen Ökonomie vom 1977 bis 1993 unterrichtete. In dieser Zeit folgten auch Lehraufträge an der „London School of Economics and Political Science“ und an dem „Massachusetts Institute of Technology“, später auch an den US-Universitäten Yale und Harvard. Seit 1993 arbeitet Georgieva für diverse Abteilungen der „World Bank Group“, unter anderem im Bereich Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, wo sie sich später auch auf die Regionen Zentralasien, Ostasien und Russland spezialisiert. Ihre Erfahrung in den Bereichen Infrastruktur, Stadtentwicklung, Landwirtschaft, Umwelt und soziale Entwicklung, einschließlich der Koordinierung der Weltbank-Unterstützung für fragile und von Konflikten betroffene Länder wappnen sie für ihre neuen Aufgaben als Kommissarin. Neben der Sprache der Diplomatie beherrscht sie außerdem Bulgarisch, Englisch, Russisch und Französisch.
„Die Menschen sind unsere Priorität“
Dieses Zitat findet man auf der Webseite von ECHO, dem Amt für humanitäre Hilfe, das die Kommissarin Kristalina Georgieva bei der Bewältigung von Krisen und Hilfestellung für die betroffenen Menschen unterstützen wird. Es geht also bei dem Resort der Kommissarin weniger um wirtschaftliche Einflussnahme oder politisch-strategische Schachzüge, auch wenn diese zwei Komponenten in der Politik nie ganz ausgeschlossen werden können.
Die wichtigsten Aufgaben der Generaldirektion ECHO und der Kommissarin bestehen in der Bereitstellung von Entwicklungshilfe in Form von Finanzmitteln, Waren, Dienstleistungen oder technischer Hilfe für Krisenregionen. Die EU bedient sich dreier Instrumente: Soforthilfe, Nahrungsmittelhilfe und Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene. Entscheidend sind dabei die drei Prinzipien Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.
Wohltätigkeit hat ihren Preis
Die wirtschaftliche Krise in der EU wird auch an der humanitären Hilfe der Europäischen Union nicht spurlos vorübergehen. Kommt es auch hier zu Mittelkürzungen, wird es für Kristalina Georgieva in Zeiten zunehmender Naturkatastrophen und humanitärer Tragödien in Folge politischer Krisen keine leichte Aufgabe sein, die Idee der Menschlichkeit und Solidarität immer aufrecht zu erhalten. Kristalina Georgieva wichtigste Aufgabe ist, sicherzustellen, dass die finanzielle Unterstützung so effektiv wie möglich verteilt wird.
Der Artikel ist am 15.03.2010 auch auf www.europa-digital.de erschienen.