Die EU-Ratspräsidentschaft kommt, und der Rakija wird versteckt

Was man nicht alles macht, um dem Gast aus Brüssel zu gefallen:

Man macht sich hübsch: Hier noch eine Falte mit Asphalt zuschütten, da noch einen eitrigen Pickel vertuschen. Das Zentrum von Sofia war mehrere Monate lang eine einzige Baustelle – es wurde poliert, renoviert, saniert wie noch nie zuvor. Denkmäler aus der sozialistischen Zeit wurden entfernt, denn Bulgarien ist ja europäisch. Die Vergangenheit wurde ausradiert, selbst in den Schulbüchern werden Todor Zhivkov und Co. kaum erwähnt. Dass es damals Arbeitslager gab, muss ja keiner wissen. Die strahlende Zukunft liegt vor uns. (Mir ist grad, als hätte ich ein Deja-Vu)

Man versteckt ungeliebte Familienmitglieder: Und so verweist man den rechtspopulistischen Koalitionspartner in die zweite Reihe. Bloß keine rassistischen Äußerungen und keine Fotos in SS-Uniformen in den nächsten sechs Monaten. Beherrscht Euch jetzt mal. Danach könnt ihr weitermachen, denn mit Hassreden gegen Roma wird man Vizepremierminister und Verantwortlicher für Demografie und Minderheiten. Passt wie Faust aufs Auge.

Man verzichtet eben auch auf lieb gewonnene, um nicht zu sagen überlebensnotwendige, Traditionen: Der „kleine“ Rakija wird für die Ratspräsidentschaft von 50 ml auf 25 ml reduziert. Er wird also nicht in Wassergläser geschüttet und mit eingelegtem Gemüse serviert. Sondern in sympathischen Gläsern mit langem Hals und mit Antipasti dargereicht. Zwar betrifft diese Regelung nur die Veranstaltungen, die mittelbar mit der EU-Ratspräsidentschaft etwas zu tun haben, aber dennoch: Der Bulgare fühlt sich verraten. Irgendwie gekränkt. Irgendwie ausgenutzt.

Man muss vortäuschen, was man nicht ist. Aber das werden die bulgarischen Politiker schaffen, da bin ich mir ganz sicher. Sie täuschen eh die ganze Zeit Demokratie und Rechtsstaat vor. Nur vor Gott haben sie Angst. Wie ein ehemaliger Generalstaatsanwalt gesagt hat: „Über mir ist nur Gott.“ Das Recht spielt keine Rolle, es ist irgendwo da unten. Und so müssen Unternehmen zittern, ihre Zulassung nicht willkürlich aberkannt zu bekommen (LINK) oder mit dem Einfrieren ihrer Kapitaleinlagen nicht erpresst zu werden (LINK). Das betrifft zwar in der Regel bulgarische Unternehmer, aber auch ausländische Unternehmer machen sich langsam Sorgen (LINK).

Vereinen und Nichtregierungsorganisationen sollte die Finanzierung aus dem Ausland verboten werden, und nur durch einen Aufschrei im Ausland ist die Politik wieder zurückgerudert (LINK).

Nun in den kommenden sechs Monaten wird man ganz brav und unschuldig gucken, und hoffen, dass 25 ml Rakija ausreichen, um den ausländischen EU-Gästen die Köpfe zu verdrehen und den Elefanten im Raum zu ignorieren. Nazdrave.

Die 90er lassen grüßen

Gestern (18.12.2017) am frühen Morgen wurde im Zentrum von Sofia Ivo Stamenov, Chef der Steueraufsichtsbehörde in der Agentur für Einkünfte, angeschossen. Diese Abteilung wurde erst vor 3 Jahren gegründet und hat zum Ziel, die kriminellen Praktiken in Zusammenhang mit der Umsatzsteuer zu bekämpfen. Auf der Liste der Kontrolleure stand u.a. der Handel mit Obst und Gemüse und anderen Lebensmitteln aber seit ein paar Monaten auch der Handel mit Brennstoffen. Laut einer Untersuchung des Zentrums für Demokratieforschung aus dem Jahr 2012 kostet die Hinterziehung der Mehrwertsteuer das Land jährlich umgerechnet 350 Millionen Euro. (Quelle auf Bulgarisch: file:///Users/rayna/Downloads/BOCTA_bg_full_pdf.pdf)

Man könnte jetzt sagen, Bulgarien hat ja Bitcoins und könnte alles ausgleichen, aber Scherz bei Seite. Es geht um die kriminellen Machenschaften in diesem Land, die unbestraft und laut Medienberichten unter dem Schutz der Staatsanwaltschaft und der Politik weiter das Land in Richtung Abgrund ziehen.

MfG, Brüssel

Habt Ihr nicht unsere Empfehlungen vom letzten Jahr gelesen?

Wo bleiben Eure funktionierenden Institutionen?

Wieso wuchert das Geschwür der Korruption bei Euch?

Antwortet doch wenigstens! Mehr noch – unternehmt endlich was!

MfG

Brüssel

Frans Timmermans, EU-Kommissar und erster Stellvertreter Junckers, hat es heute etwas milder und diplomatischer ausgedrückt. Ist halt sein Job. Wer weiß, was ihm eigentlich auf der Zunge lag. Zugegeben, ich habe das ein bisschen zugespitzt – aber dann versteht man es auch besser. Denke ich.

Heute war es wieder soweit. Die Spannung am Morgen konnte man in den einschlägigen sozialen Medien spüren: Wo bleibt der EU-Bericht, fragte sich die interessierte bulgarische Twittergemeinde. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Politiker bestimmt noch eine letzte Hoffnung, dass dieser ominöse Bericht erst gar nicht erscheint. Schließlich hat Brüssel derzeit echt viel auf dem Tisch: Polen, Ungarn, Sicherung der Außengrenzen. Da könnte doch das kleine, unbedeutende Bulgarien aus dem Fokus geraten sein. Doch nein, so ein Pech – da ist ja der Bericht und er sieht mal wieder nicht rosig aus. Oben drein wurde heute der Korruptionsindex von Transparency International veröffentlicht. Auch der lässt Bulgarien nicht gerade gut dastehen (Bulgarien ist auf Platz 69 hinter Lesotho, Senegal, Bahrain, Kuba, Ghana, u.a.)

omas esel

omas esel

Und hinzu kam noch, dass Rumänien, das auch heute sein EU-Zeugnis ausgestellt bekommen hat, wie ein Musterschüler daher kommt. „Shit happens“, sagen sich die bulgarischen Politiker. Aber muss es every year the same shit sein, frage ich mich.

Kleiner Rückblick: Seit 2007 stellt Brüssel regelmäßig, inzwischen nur einmal im Jahr, so ein Zeugnis über – wie es so schön heißt – „die Maßnahmen Bulgariens zur Reform der Justiz und zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM)“. Herrlich diese EU-Sprache. D.h. Brüssel „monitort“, was Bulgarien macht, oder auch nicht und spricht Empfehlungen aus. Seit Jahren sage ich: Nur gucken reicht nicht. Empfehlungen werden dankend angenommen und landen dann in Ablage P. Am Ende machen die da in Sofia eh was sie wollen. Wieso nicht ein bisschen strenger: Mahnungen, Sanktionen, irgendwas. Brüssel sollte nicht erst dann eingreifen, wenn die Demokratie den Bach runter geht. Siehe Polen und Ungarn. Bitte schon vorher – denn in Bulgarien sieht es nur so aus, als ob es eine Demokratie gäbe. In Wahrheit ist es eine Demokratur, wo politische Eliten das ganze Land kontrollieren und das Denken manipulieren.

Das steht im Bericht natürlich nicht so deutlich. Reinschauen lohnt sich aber auf jeden Fall trotzdem. Achtung: Behördensprache. 

Die Ersatzkommissarin überzeugt

Von wegen das Parlament habe beschränkte Entscheidungsrechte und unwesentliche Einflusskraft: Die Europaparlamentarier haben bei der Anhörung und Beurteilung von Kandidaten für die Europäische Kommission gezeigt, dass sie jede Aussage der Prätendenten ganz genau unter die Lupe nehmen bevor sie ihre Unterstützung aussprechen.

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Der Balkan an der Grenze zwischen Ost und West

„Ein Gespenst geht um die westliche Kultur – das Gespenst des Balkans. Alle Mächte haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet: Politiker und Journalisten, konservative Akademiker und radikale Intellektuelle, Moralisten jeder Art, jeden Geschlechts und jeder Richtung.“ (Maria Todorova: Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil, Darmstadt 1999)

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