balkan perspectives

Über das Leben in einer Region der Gegensätze

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Serbien im Oktober

Am 5. Oktober 17 Jahre später stehen die Leute in Belgrad nicht auf der Straße und verjagen einen allmächtigen Politiker, sondern sitzen rauchend in ihren Autos im Stau.

Wenn Du parken möchtest, musst Du kreativ sein. Sehr kreativ. Parken auf dem Bürgersteig ist auf der Kreativitätsskala ganz unten. Da musst Du Dir schon was besseres einfallen lassen.

Am 15. Oktober wird die Heizung angemacht – zentral. Und wenn vorher die Hühner schon im Stall gefrieren, Gesetz ist Gesetz. Das Land dreht erst am 15. den Hahn auf.

Nicht-Raucher haben keine Rechte. Absolut nicht. Nirgendwo.

Bor ist nicht am A… der Welt, sondern in Zentralserbien – zumindest laut App.

Wenn Du jemanden bittest, eine Nachricht an jemanden zu schicken, dann schreit er solange durch das Treppenhaus, bis auch der letzte die wichtige und/oder private  Nachricht gehört hat, während Du Dir noch die Ohren zuhältst.

Und wie immer: Mein Stempel von meiner letzten Kosovo Einreise wurde von dem sehr engagierten Polizeibeamten am Belgrader Flughafen überstempelt. Immerhin hat er sich viel Zeit genommen aus den vielen Balkan-Stempeln in meinem Pass den „richtigen“ zu finden. Diesmal wurde der kosovarische Stempel wenigstens nicht „annulliert“, sondern lediglich mit dem Ausreisestempel Serbiens versehen.

Erdogan kommt morgen. Mit einer Delegation von 150 Unternehmern. Überall türkische Flaggen in Belgrad. Untypisch. Money, money, money. Must be funny. In the rich men’s world.

Am Ende gewinnt doch immer die Liebe. Zumindest im Supermarkt: kroatische „Bajedere“ und „Serbia“ Schokolade nebeneinander. Eine süße Verführung? Oder doch Zwangsehe?

Gefühlsausbruch

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Je öfter und je länger man auf dem Balkan ist, desto schwerer fallen einem die Abschiede. Da dieses Blog aber nicht für viele Gefühle gedacht ist, mache ich diesen auf einem Portal Luft, das eine Kollegin aus Republika Srpska vor wenigen Wochen ins Leben gerufen hat. Wenn ihr also „serbisch-kroatisch-bosnisch-montenegrinisch“ sprecht und die Gefühlsausbrüche von fünf Journalistinnen, die sonst Tag für Tag über harte Fakten berichten, ertragen könnt, klickt hierUnd meinen ersten Beitrag „TAMO GDJE ŽIVI DUŠA“ könnt ihr da auch lesen.

Hasssprache? Is‘ schon OK!

Freispruch für einen Kriegstreiber, der mit seinen hasserfüllten Parolen gegen Kroaten und Muslime und seinem Plan von einem Großserbien die Geschichte und die Geschehnisse auf dem Balkan der 90er Jahre maßgeblich geprägt hat. Und in gewisser Weise immer noch tut – mit seinen öffentlichkeitswirksamen Auftritten, bei denen sämtliche Flaggen brennen – egal ob kroatische, europäische oder die der NATO. Experten prophezeien ihm bei den Wahlen in Serbien am 24. April Gewinne mit zweistelligen Prozenten. Seine Partei heißt: Serbische Radikale Partei. Und er ist Vojislav Šešelj.

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Mitten im Nichts

Nichts: Substantiv, Neutrum (das Nichts), Synonyme: Leere, Null, Vakuum.

Anders ausgedrückt: Eine Landstraße, wenige Bäume, die in der Hitze Schatten spenden können, Wildwuchs drum herum, kein Trinkwasser, kein Essen, keine Hoffnung weit und breit. Und zwischen diesem Nichts Menschen aus Afghanistan, geflüchtet vor Krieg, vor Elend und Perspektivlosigkeit auf der Suche nach einem neuen Leben in Westeuropa. Doch jetzt sind sie in Serbien, in diesem Nichts, wo sie die Taxis, für die sie gutes Geld bezahlt haben, hierher gebracht haben. Angeblich soll sie ein Bus abholen in Richtung Ungarn, doch dieser kommt nicht und wird auch nie kommen. So funktioniert das Geschäft mit der Hoffnung der Flüchtlinge. Ein Helfer vom Arbeiter-Samariter-Bund Serbien beschreibt die Lage in diesem Nichts wie folgt:

„Now or never“

Offroad Foto: Rayna Breuer

Offroad Foto: Rayna Breuer


Serbien, Belgrad. Donnerstag, 17. September

13.24 Uhr:

Hitze, Hitze, Hitze. Im September. Das kannte ich auch nicht. Bei über 35 Grad gehe ich in den Park neben dem Bahnhof, es ist ein Zwischenstopp für viele Flüchtlinge, die über Mazedonien nach Serbien kommen. Dort verbringen sie ein paar Tage, um dann gen Westen aufzubrechen. Der Park ist nicht so voll wie vor einigen Wochen. Die meisten verstecken sich vor der Hitze in den Zelten oder unter den Bäumen. Leere Wasserflaschen überall. Die gewaschenen Klamotten hängen auf den Parkzäunen.

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Do you wanna play football?

„Hello“, sagt er und kichert. Ich mache die Kamera aus und kichere zurück nicht wissend, was ich sagen soll. „Hello, what’s your name?“, fragt er mich ungeduldig, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Ich antworte: Rayna. „Aha, ok, do you wanna play football?“ Und zeigt auf seinen Freund, der mit dem Ball ein paar Meter weiter weg wartet.

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Im Schatten des Fußballs

13. Mai 1990, Stadion Maksimir in Zagreb – die Situation eskaliert, alles gerät außer Kontrolle. Serbische und kroatische Fans und Fußballspieler liefern sich schon vor dem Spiel einen heftigen Schlagabtausch. Ein Vorbote des Krieges, der ein Jahr später ausbrechen soll.

Ähnliche Szene fast 25 Jahre später: Die Gemüter der Fußballfans sind immer noch nicht besänftigt, der Balkan-Konflikt brodelt immer noch unter der Oberfläche. Am 14. Oktober 2014 flog während der ersten Hälfte des EM-Qualifikationsspiels Albanien gegen Serbien eine Drohne über das Spielfeld. An der Drohne hängend eine schwarz-rote Flagge, die die Konturen von Großalbanien aufzeichnet – einem Wunschstaat, der alle Territorien umfasst, wo Albaner leben – also auch Kosovo, Südserbien, Mazedonien etc. Außerdem die Konterfeis zweier albanischer Nationalhelden, die für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft haben. Mehr Provokation und Chauvinismus geht nicht. Mehr Dummheit auch nicht.

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Kroatien – Liebe auf den zweiten Blick

Es war kurz nach den Balkankriegen als meine Familie und ich nach Zagreb gezogen sind. Wir lebten dort bis 2000, und am Ende war alles gut – ich habe Kroatien ins Herz geschlossen und ich fühle mich in Zagreb auch zuhause – aber es hat lange gedauert. Der Anfang war wirklich kein Spaß.

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Bis der Krieg uns scheidet

Von Basketball versteh‘ ich ehrlich gesagt nicht viel. Obwohl ich diese
Sportart in der Schule gerne gespielt habe. Hier der Beweis: Mein rechter kleiner Finger ist seit einem sehr umkämpften
Basketballspiel krumm. Ich hatte mich während des Spiels verletzt, dachte
erstmal, ach komm, der Finger ist doch nur angeschwollen, wird schon. Aber dann
– Tage später – musste ich feststellen, dass er doch noch gebrochen war. Die
Ärzte wollten ihn noch einmal brechen, um ihn zu richten. Ich sagte: Nein,
auf keinen Fall. Einmal reicht. Und vielleicht habe ich beim nächsten Spiel
Glück, dachte ich, und im Eifer des Gefechts rückt er von alleine an die
richtige Stelle. Das ist jetzt gut 15 Jahre her, mein Finger ist krumm
geblieben – als Beweis meiner glorreichen Basketballkarriere.

Wieso ich Euch diese Geschichte erzähle? Weil ich neulich wieder das Glück
hatte, etwas mit Basketball zu machen. Nicht zu spielen, das wäre bestimmt
nicht gut gegangen, aber Menschen zu treffen, für die Basketball ihr Leben war
– mehr noch: ihr Schicksal. In Belgrad habe ich den berühmten Vlade Divac
getroffen, einer der Goldenen Jungs der jugoslawischen Nationalmannschaft.
Wenige Tage später bin ich nach Zagreb gereist, wo ich die Mutter einer anderen
Basketballlegende treffen durfte – Biserka Petrovic, die Mutter von Drazen
Petrovic. Was die beiden Ausnahmespieler verbunden hat, und was sie am Ende
getrennt hat, das erzähle ich in dieser Reportage, die u.a. der DLF am 2. Juni 2013
gesendet und die Deutsche Welle am 10. Juni 2013 veröffentlicht hat.

Vlade und Drazen, Zagreb '89 (Foto: Drazen Petrovic Foundation)

Vlade und Drazen, Zagreb ’89 (Foto: Drazen Petrovic Foundation)

Schuldgefühle

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Denkmal für die in Srebrenica ermordeten Menschen

„Ich bitte auf Knien darum, dass Serbien für das in Srebrenica begangene Verbrechen verziehen wird“, sagte Tomislav Nikolic in einem Interview für das bosnische Fernsehen. Ein Meilenstein in der Rhetorik, bedenke man bloß seine Vergangenheit. Weiterlesen