Brief an den Weihnachtsmann

Lieber Weihnachtsmann, ich weiß, du hast im Moment echt viel zu tun und ich weiß sehr wohl, dass ich das Alter für solche Briefe längst überschritten habe, aber es gibt ein paar Sachen, für die fühlt sich irgendwie keiner zuständig. Und Du behauptest ja, Du könntest Wünsche erfüllen. Daher wende ich mich hoffnungsvoll an dich.

Und hier meine kleine aber äußerst dringende Wunschliste:

Dieses Jahr haben die Kandidaten bei den Kommunalwahlen meiner Oma mal wieder mehr Rente versprochen. Und sie hat ihnen mal wieder geglaubt – vergebens. Also könntest Du bitte dafür sorgen, dass Oma etwas mehr als die üblichen 250 Leva (125 Euro) im Monat kriegt. Die paar Kröten reichen noch nicht mal für das Holz für den Winter. Und komm mir nicht mit Klimawandel und Erderwärmung. Bei dir am Nordpol mag ja der ein oder andere Eisberg verschwunden sein, aber in Bulgarien im Dorf von meiner Oma kann es echt kalt werden im Winter. Delikatesse made in Bulgaria

Ich schicke ihr gerne Geld, so ist es nicht. Ich brauche wirklich nicht viel. Und sie schickt mir dann immer zu Weihnachten diese leckeren Sachen (siehe Foto). Wundere Dich nicht, die Lukanki (bulgarische Wurst) müssen noch trocknen und deswegen habe ich sie auf den Wäscheständer gehangen. Na jedenfalls Oma muss das Dach machen, es tropft von oben. Sie wohnt jetzt nur in einem Zimmer und seitdem Opa gestorben ist, ist sie sehr einsam. Wäre das Dach OK, könnten in dem Zimmer irgendwelche Flüchtlinge leben, die täglich an ihrer Tür vorbei ziehen (sie lebt an der türkisch-bulgarischen Grenze). Allein sein sei nicht auszuhalten, sagt sie. Davor habe ich übrigens auch Angst im Alter. Hätte sie Skype, wäre das Alleinsein denke ich kein Problem. Aber auf dem Dorf gibt es kein Internet. Einige Omis hatten mal ein Schreiben an den „Bürgermeister“ geschickt mit der Bitte, dass er irgendwas dagegen macht. Er ließ verlautbaren, man solle nicht allen Trends nachrennen und im Sozialismus hatten sie sowas ja auch nicht, wozu also jetzt.

Wenn Du das mit meiner Oma geregelt hast, könntest Du dann bitte dem einen Politiker, der meine Bekannten aus Burgas bedroht, keine Geschenke bringen? Die beiden sind Journalisten und veröffentlichen regelmäßig Fakten über seine Mafiageschäfte auf ihrer Onlineplattform. Jetzt will er die beiden fertig machen. Ich denke nicht, dass er irgendwelche Geschenke verdient hat. Du weißt schon, von wem ich spreche, oder?

Ach so, dann notier doch bitte auch, dass ein ehemaliger Minister, der den Polizisten, der den afghanischen Flüchtling an der Grenze erschossen hat, mit dem Ehrenorden auszeichnen wollte, auch keine Geschenke zu kriegen hat. Und der, der den Bulgaren neulich verboten hat, Speck zu essen und Alkohol zu trinken und Zigaretten zu rauchen. Er meinte, solche würden nicht mehr medizinisch versorgt werden, weil sie ja selber schuld seien, dass sie ihr Leben riskieren. Mein Onkel liebt Speck und raucht, für das letzte sei Tante schuld gewesen, sagt er. OK, jetzt sind’s schon drei Politiker geworden, aber eigentlich kannst du dieses Jahr für alle die Geschenke streichen – keine weiteren Autos, keine Hotels, keine Fabriken, und schon gar nicht Geld. Die haben reichlich davon.

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Mitten im Nichts

Nichts: Substantiv, Neutrum (das Nichts), Synonyme: Leere, Null, Vakuum.

Anders ausgedrückt: Eine Landstraße, wenige Bäume, die in der Hitze Schatten spenden können, Wildwuchs drum herum, kein Trinkwasser, kein Essen, keine Hoffnung weit und breit. Und zwischen diesem Nichts Menschen aus Afghanistan, geflüchtet vor Krieg, vor Elend und Perspektivlosigkeit auf der Suche nach einem neuen Leben in Westeuropa. Doch jetzt sind sie in Serbien, in diesem Nichts, wo sie die Taxis, für die sie gutes Geld bezahlt haben, hierher gebracht haben. Angeblich soll sie ein Bus abholen in Richtung Ungarn, doch dieser kommt nicht und wird auch nie kommen. So funktioniert das Geschäft mit der Hoffnung der Flüchtlinge. Ein Helfer vom Arbeiter-Samariter-Bund Serbien beschreibt die Lage in diesem Nichts wie folgt:

„Now or never“

Offroad Foto: Rayna Breuer

Offroad Foto: Rayna Breuer


Serbien, Belgrad. Donnerstag, 17. September

13.24 Uhr:

Hitze, Hitze, Hitze. Im September. Das kannte ich auch nicht. Bei über 35 Grad gehe ich in den Park neben dem Bahnhof, es ist ein Zwischenstopp für viele Flüchtlinge, die über Mazedonien nach Serbien kommen. Dort verbringen sie ein paar Tage, um dann gen Westen aufzubrechen. Der Park ist nicht so voll wie vor einigen Wochen. Die meisten verstecken sich vor der Hitze in den Zelten oder unter den Bäumen. Leere Wasserflaschen überall. Die gewaschenen Klamotten hängen auf den Parkzäunen.

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Do you wanna play football?

„Hello“, sagt er und kichert. Ich mache die Kamera aus und kichere zurück nicht wissend, was ich sagen soll. „Hello, what’s your name?“, fragt er mich ungeduldig, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Ich antworte: Rayna. „Aha, ok, do you wanna play football?“ Und zeigt auf seinen Freund, der mit dem Ball ein paar Meter weiter weg wartet.

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Im Schatten des Fußballs

13. Mai 1990, Stadion Maksimir in Zagreb – die Situation eskaliert, alles gerät außer Kontrolle. Serbische und kroatische Fans und Fußballspieler liefern sich schon vor dem Spiel einen heftigen Schlagabtausch. Ein Vorbote des Krieges, der ein Jahr später ausbrechen soll.

Ähnliche Szene fast 25 Jahre später: Die Gemüter der Fußballfans sind immer noch nicht besänftigt, der Balkan-Konflikt brodelt immer noch unter der Oberfläche. Am 14. Oktober 2014 flog während der ersten Hälfte des EM-Qualifikationsspiels Albanien gegen Serbien eine Drohne über das Spielfeld. An der Drohne hängend eine schwarz-rote Flagge, die die Konturen von Großalbanien aufzeichnet – einem Wunschstaat, der alle Territorien umfasst, wo Albaner leben – also auch Kosovo, Südserbien, Mazedonien etc. Außerdem die Konterfeis zweier albanischer Nationalhelden, die für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft haben. Mehr Provokation und Chauvinismus geht nicht. Mehr Dummheit auch nicht.

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Endlich!

Es war gegen 11 Uhr als auf einmal auf dem Flur unruhige Stimmen zu vernehmen waren. Ich war so vertieft in einen Artikel, dass ich die Agenturmeldungen nicht im Sekundentakt lesen konnte (und wollte). Der Redaktions-Tag fing ohnehin ganz ruhig an, was soll denn heute schon Großartiges passieren, dachte ich mir. Dann kam eine Kollegin angerannt und meinte zu mir: „Mladic je uhapsen“ („Mladic wurde gefasst“).

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