balkan perspectives

Über das Leben in einer Region der Gegensätze

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Auf dem Rücksitz

Wenn Du etwas über die Menschen in Prishtina erfahren möchtest, dann fahre einfach ein paar mal mit dem Taxi um die Stadt (kostet echt nicht viel). Immer mit einem anderen Taxi natürlich. Am Ende erfährt man mehr als bei jedem Gespräch mit einem Politiker oder NGO-Vertreter.

Ein Taxifahrer zum Beispiel hat neun Jahre in Deutschland gelebt. Viele Menschen aus dem Kosovo sind in den 90ern in den Westen gegangen. Er hat sich mit seiner Familie in Kassel niedergelassen. Kein einziges Mal habe er Sozialleistungen bezogen und immer fleißig gearbeitet und Steuern bezahlt, das hat er deutlich betont. 2000 entschied er sich dann, doch zurück in die Heimat zu kehren: „Ich musste eigentlich nicht zurückkommen, aber ich wollte hier am Aufbau des Landes teilnehmen, Kosovos Zukunft mitgestalten, meine Eltern unterstützen. Ich war voller Optimismus und Enthusiasmus.“ Zwölf Jahre später ist davon nichts übrig geblieben. Er würde gerne zurück, so leicht geht es aber diesmal nicht. „Zum Glück ist mein Sohn dort geblieben.“

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Neu geboren – Eine Skulptur im Herzen von Prishtina

Ein anderer Taxifahrer dagegen hatte alle Hände voll zu tun mit seinem Sohn. Auf der ganzen Fahrt von Prishtinas Zentrum bis zu meinem Hotel musste er ihm über Handy erklären, dass er heute keine 50 Cent kriegt. „Er will heute 20 Cent, morgen 50 Cent, dann 5 Euro für Fußball oder für Poster. Er soll seine Hausaufgaben machen. Meine Tochter will nie was von mir“, sagt er und klopft auf die Armatur (auch wenn sie nicht aus Holz ist). Eine vierköpfige Familie zu ernähren, ist im Kosovo nicht leicht. Offiziell sind 43% der Bevölkerung arbeitslos, viele können nur deswegen überleben, weil sie von ihren Familien im Ausland Geld bekommen. Ich habe dem Taxifahrer extra 50 Cent mehr Trinkgeld gegeben, für seinen Sohn. Ob er sie ihm weitergegeben hat, weiß ich nicht. Er hat es mir aber versprochen 🙂

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Der erste Präsident Kosovos – Ibrahim Rugova

Ich musste von Gracanica (ein großes Dorf, wo mehrheitlich Serben leben) nach Prishtina zurück. Ein Serbe hat mich gefahren. Er ist in Prishtina geboren, nach dem Krieg 1999 ist er – wie viele andere – in die serbische Enklave Gracanica gegangen. Auf der Fahrt ins Stadtzentrum hat er mir gezeigt, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat, damals ist er zusammen mit Albanern in die Schule gegangen (auch wenn Serben und Albaner wegen der Sprachunterschiede separaten Unterricht hatten). Heute leben in Prishtina nur etwa zwischen 40 und 80 Serben – meistens alte Menschen, die nirgendwo anders hingehen können. In seine Geburtsstadt fährt er selten, nur wenn es sein muss. Dabei befindet sich Gracanica nur ca. 10 km von Prishtina entfernt. Seit 1999 ist Prishtina für ihn aber eine „fremde“ Stadt.

Von Problemen mit den Kindern, die sicherlich überall auf der Welt existieren, über geplatzte Träume nach der Rückkehr in die Heimat bis Geschichts-Verklärungen geboren aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit – all diese Geschichten sind ein Teil des jungen Kosovo.

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