Vom vierten Stock aus erscheint die große Grube ganz schön gruselig. Wildwuchs, Sumpf, Betonklötze. Sie ist blickdicht eingezäunt. Die Passanten bemerken gar nichts. Deswegen wussten nur wenige, was sich dahinter verbirgt. Nur die Nachbarn, aber auch nur die ab dem 3. Stockwerk. Es war mal eine Garage, hätte eine sein sollen, zur Förderung der städtischen Infrastruktur, dann hat der eine Investor sie verkauft, der nächste hat sie weiterverkauft, am Ende hat irgendjemand viel Geld kassiert und eine Baugrube hinterlassen. Assen Yordanov lehnt sich über seinen Balkon und schaut zur Grube hinab. So enden die meisten Geschäfte in Bulgarien:
„Siehst du da drüben, auf der anderen Seite des Sumpfes ist das Gebäude der Staatsanwaltschaft. Es war früher die Festung der bulgarischen Kommunistischen Partei in der Stadt Burgas. Es sieht aus wie ein gigantischer Bunker. Es wurde so gebaut, dass es einen direkten Bombenangriff übersteht. Ich habe viele Korruptionsfälle aufgedeckt, in denen öffentliche Gelder missbraucht wurden. Ich habe Beweise vorgelegt, Beschwerden eingelegt, doch diese Fälle verstauben in den Akten hier und keiner wird zu Rechenschaft gezogen. Für mich erfüllt dieses Gebäude die gleiche Funktion in zwei verschiedenen Gesellschaften, nur dass früher die Kommunistische Partei das verbrecherische Regime unterstützt hat und jetzt ist es die Justiz. Heute stehen die bulgarische Staatsanwaltschaft und viele Richter als Schutzschild vor kriminellen Gruppen.“
Assen Yordanov ist wütend, es hat sich viel angestaut bei ihm. 20 Jahre. Das ist eine lange Zeit. „Als ich 1992 angefangen habe, hegte die bulgarische Gesellschaft noch die Hoffnung, dass die Metastasen des kommunistischen Regimes schnell entfernt werden. Dazu ist es aber nie gekommen. Die Attacken gegen mich als investigativer Journalist sind mehr geworden, der Druck größer. Und das Schlimmste ist, dass über die Jahre der Staat mit den kriminellen Strukturen im Land eins geworden ist. Als investigativer Journalist hast Du nicht mehr nur eine Front, an der du kämpfen musst. Du bist umzingelt – von der Mafia, genauso wie von den staatlichen Institutionen.“
2010 wurde Assen Yordanov mit dem Leipziger Medienpreis ausgezeichnet. Die Urkunde hängt in seinem Büro. Darauf ist er sehr stolz. Das gab ihm Kraft weiterzumachen. Er gründete zusammen mit ein paar wenigen Gleichgesinnten „bivol.bg“, eine Plattform, auf der er Dokumente veröffentlicht, die Missstände und Verbrechen im Land aufdecken. Das gefällt vielen nicht: Seine Seite ist zahlreichen Angriffen ausgesetzt, Unwahrheiten über die Menschen hinter Bivol werden verbreitet, er wurde gar auf offener Strasse angegriffen. Alltag. In Bulgarien. In der EU wohlgemerkt. Das größte Problem sei aber, dass die Mainstream-Medien seine Aufdeckungen nicht verbreiten. Es herrscht ein einvernehmliches Stillschweigen. Wieso? Die Medienhäuser sind schliesslich alle in den Händen von Politikern, Wirtschaftsbossen oder Menschen, die diesen nahestehen.
Wie kann man bei so viel Apathie und Gegenwind noch weitermachen?