Vier Begegnungen und ein Todesfall

„Er wollte einfach nicht unterschreiben, weil auf der Rückseite das Wappen Bosnien und Herzegowinas (BiH) abgedruckt war“, erzählt mir S. Und zündet die nächste Zigarette an. Eine nach der anderen. Bald sind lokale Wahlen in BiH. Er ist vor ein paar Monaten der multiethnischen Partei „Nasa Stranka“ beigetreten. Um diese in seiner Stadt registrieren zu dürfen, musste er Unterschriften sammeln. Daran ist er gescheitert. In seiner Stadt, Doboj, in Republika Srpska, leben überwiegend Serben, die sich Belgrad viel näher fühlen, als Sarajevo. Platz für eine multiethnische Partei gibt es nicht.

S. ist gerade mal 30 Jahre alt. Tabak sei besser als Psychopharmaka, sagt er, diese würden viele seiner Freunde nehmen, er schaffe es aber ohne. Dabei muss er mit vielen „ohne“ auskommen – ohne Job, ohne Geld, ohne Privatsphäre – er lebt immer noch bei seinen Eltern, weder Freunde, noch ein Mädchen könne er hinbringen. Kurz – ohne Zukunft. Er hat in Sarajevo Geografie studiert, gerne würde er als Lehrer arbeiten, doch dafür müsse man Kontakte zu den regierenden Parteien haben. Für einen Job gehe man nicht aufs Amt sondern in die Zentrale der Parteien. Nur so habe man Aussichten auf einen Job, erzählt er mir. Doch das will er nicht, zu groß ist die Enttäuschung, der Frust. „Korruption, Nepotismus, Manipulation – das nennt man Politik bei uns.“

Und so will er weiter die Menschen in Doboj für seine multiethnische Partei mobilisieren. Ein mutiges und fast aussichtsloses Unterfangen – denn im ganzen Land sind die Linien, die die verschiedenen Ethnien untereinander teilen, noch sichtbar. Während des Gesprächs hatte ich die ganze Zeit das Bild von Don Quijot und wie er gegen die Windmühlen ankämpft vor Augen. Dabei schien es mir so, als ob Cervantes Held sogar bessere Chancen hatte als S.

„Same Same But Different“

Der Titel ist geklaut – aber etwas Passenderes ist mir für die folgende Begegnung nicht eingefallen. Wo bei Detlev Buck der Schauplatz Kambodscha war, geht es bei mir um Bosnien und Herzegowina – genauer gesagt um Kotorsko, ein kleines Dorf im Norden des Landes, in Republika Srpska. Ich bin dorthin gefahren, weil ich eine Reportage über das Zusammenleben schreiben wollte.

Vorab eine kurze Geschichtsstunde: Vor 1992 wohnten dort ausschließlich Muslime, dann kam der Krieg, die Serben haben das Dorf erobert, wer konnte, ist geflüchtet, serbische Familien haben sich in die Häuser der bosnischen Bewohner einquartiert, dann ab 2000 begannen die Bosniaken in ihre Häuser zurückzukehren. Für die serbischen Bosnier hatte die Regierung der Republika Srpska gesorgt – ihnen wurden Parzellen zugeteilt, die früher der bosniakischen Bevölkerung gehörten. Und so leben seit zehn Jahren Orthodoxe und Muslime zusammen. Friedlich.

Ein Beweis dafür ist die Schule, in der serbische und bosniakische Kinder zusammen die Bänke drücken. Das ist nicht üblich in Bosnien und Herzegowina. In den Regionen, wo mehr als eine Ethnie lebt, sind die Schulen geteilt – morgens besuchen die einen, nachmittags die anderen den Unterricht. Manchmal ist das Gebäude auch einfach zwei geteilt. Aber was mir Experten als ein weitaus größeres Problem darstellten, sind Schulen, in der die dominierende Ethnie ihre Sprache, Geschichte und Literatur den „anderen“ aufzwingen will. Vor allem in Republika Srpska soll es so sein, wo überwiegend Serben leben.

Als ich in die Schule in Kotorsko kam, haben die Kinder draußen Fußball gespielt, zusammen. Auch in der Schule haben sie gemeinsamen Unterricht. Bis zur 7. Stunde, dann ist alles genau so wie in den meisten Teilen Bosniens. Die einen haben Islamstunde, die anderen orthodoxen Unterricht beim Popen aus dem Nachbardorf. Während die serbischen Kinder danach nach Hause fahren können, müssen die bosniakischen noch zwei Stunden dranhängen – Bosnisch lernen. Dabei sind die Sprachen fast identisch, doch die Eltern der bosnischen Kinder wollten unbedingt, dass sie auch noch Bosnisch in den Stundenplan aufnehmen. Darauf haben die Kinder aber keinen Bock, haben sie mir gesagt. Es sei ja die gleiche Sprache. Immerhin ist die Einführung der bosnischen Sprache ein Zeichen der Toleranz – denn die Schule in Kotorsko ist die einzige Oberschule, die sowas anbietet. In allen anderen wird nur Serbisch gelehrt.

Geschichtsunterricht haben sie auch gemeinsam, doch über den jüngsten Krieg wird nicht viel gesprochen, sagte mir der Geschichtslehrer. Man solle die Kinder damit nicht belasten. Dafür lernen sie über die Französische Revolution alles ganz genau.

Fuad

Ein Miteinander – ja, das ist für die Kinder in Kotorsko normal. Für ihre Eltern ist es mehr ein Nebeneinander. Etwa 15 Meter von der Schule entfernt, in einem Raum 5 mal 5 Meter, ganz verraucht und unordentlich ist das Büro des Vereins der Dorfbewohner. Ich habe dort Fuad getroffen, er ist Schatzmeister. Und Raucher. Wie S. – ein Kettenraucher. Er hat Zeit, genug Zeit – denn so viel zu zählen und zu rechnen hat er nicht. Etwa 35 Mitglieder zählt der Verein – die meisten leben im Ausland, sie spenden umgerechnet 50 Euro im Jahr und die etwa 8 Mitglieder aus dem Dorf – ja, sie versuchen mit dem wenigen Geld etwas zu machen. Die besten der Abschlussklasse kriegen für die gute Leistung am Schulende etwa 10 Euro, letzt hat der Verein einen Drucker für die Schule gekauft, das ganze Dorf kommt nun in die Schule, wenn es was zum Drucken gibt. Einen Plan für einen Spielplatz neben der Schule haben sie auch schon erarbeitet – detailreich, bunt ausgedruckt, einen Architekten hatten sie extra dafür engagiert. Nur das Geld fehlt jetzt für den Baubeginn.

Soweit so gut, doch dann kamen wir auf die Geschichte zu sprechen und ich musste erfahren, dass das Bild vom friedlichen Zusammenleben doch Risse hat. Fuad kann sich mit den „anderen“ nicht anfreunden. „Sie leben dort, wir hier, so ist das eben.“ Mit den „anderen“ meint er die serbischen Bosnier und mit „dort“ meint er das kleine „Viertel“ links von der Hauptstraße, mit „hier“ entsprechend den rechten Teil. Sein Haus wurde während des Krieges von Serben bewohnt. Auch als die Serben Baufläche bekommen haben und aus den bosnischen Häusern auszogen sind, konnte das den Frust, den Hass, die Erniedrigung der Kriegsjahre nicht wettmachen. 20 Jahre danach – für Fuad sind es immer noch die „Anderen“. Wir haben uns lange unterhalten, aber er nannte nie einen anderen Begriff als die „Anderen“, all meine restlichen Gesprächspartner redeten dagegen von Nachbarn. Für mich ein Zeichen dafür, dass nicht alle so denken wie Fuad. Am Ende sagte er mir: „Das Gute ist, dass die Kinder sich untereinander verstehen. Die Älteren sollen mit sich selber klar kommen.“

Mein Grammatiklehrer

Mein Bosnisch ist eher Kroatisch, mit einem starken Zagreber Akzent. Aber ich hätte nie gedacht, dass die Leute das sofort erkennen würden und immer ganz genau wissen wollten, woher ich die Sprache könne, wie lange und wo genau ich auf dem Balkan gelebt und was ich dort gemacht hätte … Erst danach waren sie willig, meine Fragen zu beantworten. Ich musste trotzdem ihr Schmunzeln über mich ergehen lassen. Der Akzent amüsierte sie. Auch bei kleinen grammatikalischen Fehlern waren sie immer freundlich bemüht, mich zu verbessern.

Mein Kollege und Fotograf hat mich die ganze Zeit auf die Schippe genommen, dass ich auch den ganz kleinen Schulkindern immer zu erklärt habe, wieso ich schlechter als sie spreche bevor ich ihnen überhaupt die Frage gestellt habe. Aber das Bitterste kam auf dem Rückweg nach Sarajevo – als er mir sagte, dass sogar das eine Wort, das ich ständig benutzt habe, falsch war. In meiner Überzeugung, dass „medij“ auf Bosnisch weiblich ist, habe ich allen stolz erzählt, dass ich für ein deutsches Medium arbeite. Und jedes Mal eben falsch 🙂 Ich hoffe, die Kinder schreiben bei ihrem nächsten Diktat das Wort noch richtig – nämlich männlich. Trotz der Blamage hatte ich eine tolle Zeit mit meinem Kollegen, der mir so viel von seinem Land und seinen Leuten gezeigt hat. Und ja, mein lieber Lehrer – Deutschland wird Europameister … irgendwann 😉

Und dann das nicht so schöne Happy End

Während meiner Zeit in Sarajevo bin ich in einem kleinen Hostel untergekommen. Das 105-Jahre alte Haus befand sich Mitten in der Stadt, im Viertel Bascarsija. Mein Zimmer lag direkt an einer lauten Straße mit vielen Cafés und Bars – genau das wollte ich – die ganze Stimmung einfangen. Naida – so hieß meine Vermieterin, die Eigentümerin. Sie spricht sechs Sprachen, ist um die 60 – schätze ich. Bei der Ankunft war sie von meinem Bosnischen so begeistert, dass wir uns eine Weile unterhielten. Dann gab sie mir ihren Regenschirm und drückte mir eine Karte von Sarajevo in die Hand – mein Abenteuer konnte beginnen.

Als ich dann nach ein paar Tagen von Kotorsko wieder zurück nach Sarajevo kam, empfing sie mich genau so freundlich und liebevoll, doch mit einer schlechten Nachricht. In der Nacht zuvor war ihre Mutter gestorben, mit ihr habe sie ihr ganzes Leben in diesem Haus, wo das Hostel jetzt ist, gelebt, unzertrennlich. Nun hatte sich die Dame von der Last des Alters befreit – sie wurde 89 Jahre. Kriege und so manchen Schrecken habe sie überlebt, doch gegen das Alter könne man nichts machen, flüsterte Naida. Anschließend entschuldigte sie sich dafür, dass mein Zimmer noch nicht bereit war.

Am nächsten Tag musste ich zurück nach Deutschland fliegen – mit einem Koffer voller Bureks und einem Herz voller Emotionen. Nur den Kaffee werde ich nicht vermissen – diese flüssige Substanz, die die Bosnier so gerne trinken, ist für einen Latte-Macchiato-verwöhnten, westlichen Menschen ein Killer.

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