Weiß-Grün-Rot auf dem Balkon, als Duftbaum im Auto, als Aufnäher auf der Jacke, als sexy Unterwäsche. Die bulgarische Flagge ist am heutigen Tag allgegenwärtig. Es ist der 3. März: der Tag der Befreiung Bulgariens von der osmanischen Herrschaft. Oder anders: Es ist der Tag, an dem Russland und das Osmanische Reich einen Friedensvertrag auf Französisch unterzeichnet haben – der Bulgarien seine Unabhängigkeit „geschenkt“ hat.
Als 1876 die Osmanen den bulgarischen Aprilaufstand brutal niedergeschlagen haben, sahen die Russen ihre Chance gekommen, sich als Schutzmacht der slawischen Völker auf dem Balkan zu beweisen. Von 1877 bis 1878 dauerte der Russisch-Türkische Krieg, der mit vielen Verlusten auf beiden Seiten endete – mit Russland als Siegermacht. Bulgarien wird von der fast 500 jährigen osmanischen Herrschaft „befreit“ – und unter russische Verwaltung gestellt. Zu diesem Anlass, also zu dem 140. Tag der Befreiung, gratuliert Vladimir Putin dem bulgarischen Präsidenten. Dimitri Medvedjev seinerseits – dem bulgarischen Ministerpräsidenten. Der russische Patriarch ist extra deswegen nach Bulgarien gekommen. Doch am Ende reist er etwas enttäuscht ab. In diesem Jahr habe sich Bulgarien auch bei anderen Staaten, wie etwa Polen, Finnland und Litauen für die Befreiung bedankt, sagt er.
Während der russische Patriach Kiril also beleidigt in die Heimat fliegt, feiern die Bulgaren ausgelassen und mit viel Symbolik ihren Nationalfeiertag. Im Minutentakt bekomme ich Nachrichten: „Sei stolz darauf, dass Du Bulgarin bist“. „Wir sind die Nachfahren derer, für die Bulgarien alles war“. Man ist auf das Wort „Freiheit“ fixiert, auf das Stolzsein. Patriotismus. In Zeiten, in denen Moral und Ehre gegen Geld und Macht getauscht wurden, fehlen die Vorbilder. Aber ohne Vorbilder und Visionäre, ohne Helden und Kämpfer für das Gute, ist es schwer die Menschen zu begeistern. Also holt man sich diese aus der historischen Schublade und hält an ihnen so fest wie es nur geht.
Dabei hat Bulgarien Helden des 21. Jahrhunderts, die gegen das JETZT – gegen das Elend und die Armut protestiert haben, aber an die denken in diesen patriotischen Zeiten nur wenige.
Am 3. März 2013 hat sich ein junger Man aus Varna um 7:30 morgens vor das Rathaus gestellt und die sofortige Kündigung des Bürgermeisters gefordert. Es war ein Akt der Wut, der Hilflosigkeit, ein Akt inmitten von fortlaufenden Protesten wegen zu hohen Energiepreisen, zu viel Armut und zu viel Korruption. Als er merkt, dass seine Forderungen ins Leere laufen, zündet er sich an – und stirbt an den Folgen der Verbrennungen. Er hieß Plamen – auf Bulgarisch „Flamme“. Es war der Beginn von über 400 Tagen Dauerprotesten in Bulgarien, in dem die damalige Regierung – und der Bürgermeister von Varna – am Ende von ihren Ämtern zurücktraten. Ein Sieg für Plamen, der allerdings zu spät kam.
Hier ein Kurzfilm über Plamen Goranov und die Hintergründe seiner Tat.