Stillleben

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Die untergehende Sonne eilt hinter die Plattenbauten. Die letzten warmen Strahlen streicheln mein Gesicht. Ich blicke in die Ferne – und sehe vor mir die nächste Platte. Block 317, Block 403, Block 422 friedlich nebeneinander. Die Zahlenordnung – eine Antiordnung. Kleine Balkonkästchen soweit das Auge reicht. Tetris Level 12, alles akkurat dicht an dicht gebaut.

Keine Luft dazwischen.

Ich atme tief ein.

Es ist der Geruch von gebratenem Paprika, der meine Gedanken im Griff hat. Die Zeitmaschine bringt mich Jahre zurück. Balkan-Express – in die Vergangenheit mit Lichtgeschwindigkeit. In die Zukunft – hält an jeder Haltestelle. Ein Viertel Jahrhundert Transformation, ein Viertel Jahrhundert Hoffnung – mehr Plattenbauten, weniger Demokratie. Sofia, Mladost 4, Juli 2016.

Bulgariens Rechtsruck

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Zavisa Bjelogrlic / CC BY-NC-ND 2.0


Arrogant, selbstgefällig, das Gegenteil von eloquent, um nicht zu sagen plump – so spricht Boyko Borissov, Bulgariens Ministerpräsident. Man kennt seine Art, nach sieben omnipräsenten Jahren fällt es einfach nicht mehr auf. Vieles, was er sagt, wird überhört – ach, das hat er doch nicht so gemeint. In Deutschland hätte er für sein Gerede schon den Hut nehmen müssen, in Bulgarien nicht.

Auch als er vor wenigen Tagen das hier gesagt hat:

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MfG, Brüssel

Habt Ihr nicht unsere Empfehlungen vom letzten Jahr gelesen?

Wo bleiben Eure funktionierenden Institutionen?

Wieso wuchert das Geschwür der Korruption bei Euch?

Antwortet doch wenigstens! Mehr noch – unternehmt endlich was!

MfG

Brüssel

Frans Timmermans, EU-Kommissar und erster Stellvertreter Junckers, hat es heute etwas milder und diplomatischer ausgedrückt. Ist halt sein Job. Wer weiß, was ihm eigentlich auf der Zunge lag. Zugegeben, ich habe das ein bisschen zugespitzt – aber dann versteht man es auch besser. Denke ich.

Heute war es wieder soweit. Die Spannung am Morgen konnte man in den einschlägigen sozialen Medien spüren: Wo bleibt der EU-Bericht, fragte sich die interessierte bulgarische Twittergemeinde. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Politiker bestimmt noch eine letzte Hoffnung, dass dieser ominöse Bericht erst gar nicht erscheint. Schließlich hat Brüssel derzeit echt viel auf dem Tisch: Polen, Ungarn, Sicherung der Außengrenzen. Da könnte doch das kleine, unbedeutende Bulgarien aus dem Fokus geraten sein. Doch nein, so ein Pech – da ist ja der Bericht und er sieht mal wieder nicht rosig aus. Oben drein wurde heute der Korruptionsindex von Transparency International veröffentlicht. Auch der lässt Bulgarien nicht gerade gut dastehen (Bulgarien ist auf Platz 69 hinter Lesotho, Senegal, Bahrain, Kuba, Ghana, u.a.)

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Und hinzu kam noch, dass Rumänien, das auch heute sein EU-Zeugnis ausgestellt bekommen hat, wie ein Musterschüler daher kommt. „Shit happens“, sagen sich die bulgarischen Politiker. Aber muss es every year the same shit sein, frage ich mich.

Kleiner Rückblick: Seit 2007 stellt Brüssel regelmäßig, inzwischen nur einmal im Jahr, so ein Zeugnis über – wie es so schön heißt – „die Maßnahmen Bulgariens zur Reform der Justiz und zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM)“. Herrlich diese EU-Sprache. D.h. Brüssel „monitort“, was Bulgarien macht, oder auch nicht und spricht Empfehlungen aus. Seit Jahren sage ich: Nur gucken reicht nicht. Empfehlungen werden dankend angenommen und landen dann in Ablage P. Am Ende machen die da in Sofia eh was sie wollen. Wieso nicht ein bisschen strenger: Mahnungen, Sanktionen, irgendwas. Brüssel sollte nicht erst dann eingreifen, wenn die Demokratie den Bach runter geht. Siehe Polen und Ungarn. Bitte schon vorher – denn in Bulgarien sieht es nur so aus, als ob es eine Demokratie gäbe. In Wahrheit ist es eine Demokratur, wo politische Eliten das ganze Land kontrollieren und das Denken manipulieren.

Das steht im Bericht natürlich nicht so deutlich. Reinschauen lohnt sich aber auf jeden Fall trotzdem. Achtung: Behördensprache. 

Mach’s anders, Rumänien!

Das mit der Demokratie habt ihr euch anders vorgestellt, liebe Osteuropäer, oder? Außer Demos nichts gewesen. Aber es reicht nicht, nur laut zu schreien und kreative Plakate zu malen. Es reicht einfach nicht.

Ja, es ist ein tolles Gefühl. Gänsehaut. Vor zwei Jahren hatte Bulgarien einen ähnlichen Rausch. Auf einmal waren alle da unten gegen die Mächtigen da oben. Tagelang, wochenlang, monatelang haben die Bulgaren die Straßen zu einem Ort der Hoffnung gemacht. Ein Land im Ausnahmezustand. Ein Land, das aus seinem post-sozialistischen Koma erwacht ist.

Zwei Jahre später – nichts. Die selben Leute ziehen die Fäden im Hintergrund. Die Korruptionsnetze funktionieren besser denn je, Richter und Staatsanwälte fungieren als Schutzschilde der Mafiastrukturen aus Politik und Wirtschaft. Akten verstauben in den Tiefen der Staatsanwaltschaft, während Banken gestützt mit Steuergeldern pleite gehen, Staatsunternehmen nach ausgeklügelten Schemata verkauft und Medien zu PR-Instrumenten werden. Die Jugend läuft in Scharen davon, ohne Absicht je zurückzukommen. Verjagt von der Generation, die sich selber als die Pioniere der Demokratie verstehen, als die Architekten eines neuen Bulgariens.

Rumänien, mach’ es anders. Sonst endest Du so wie dein Nachbar im Süden. Willst Du das wirklich?

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen

Die Bulgaren haben vergangenen Sonntag gewählt. Keine große deutsche Zeitung hat darüber berichtet. Zurecht. Ist doch nichts passiert. Aber genau deswegen ist es so wichtig, über diese Kommunalwahlen zu sprechen.

Die Alten sind die Neuen. Die Seilschaften bleiben, werden dadurch nur bestätigt. Die Geschäfte laufen wie gewohnt weiter und Maschinerie aus Korruption und Vetternwirtschaft schnurrt wie ein Kätzchen.

In meiner Geburtsstadt Burgas wurde der Bürgermeister erneut im Amt bestätigt. Zum dritten Mal. Mit 84 Prozent. Wären sie nicht schon längst gestorben, hätte sich der eine oder andere KP-Parteisekretär über so ein Wahlergebnis gefreut. Und viel von Dimitar Nikolov gelernt, wie der erfolgreiche Politiker heißt.

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Mein Staat, der Verbrecher

Vom vierten Stock aus erscheint die große Grube ganz schön gruselig. Wildwuchs, Sumpf, Betonklötze. Sie ist blickdicht eingezäunt. Die Passanten bemerken gar nichts. Deswegen wussten nur wenige, was sich dahinter verbirgt. Nur die Nachbarn, aber auch nur die ab dem 3. Stockwerk. Es war mal eine Garage, hätte eine sein sollen, zur Förderung der städtischen Infrastruktur, dann hat der eine Investor sie verkauft, der nächste hat sie weiterverkauft, am Ende hat irgendjemand viel Geld kassiert und eine Baugrube hinterlassen. Assen Yordanov lehnt sich über seinen Balkon und schaut zur Grube hinab. So enden die meisten Geschäfte in Bulgarien:

„Siehst du da drüben, auf der anderen Seite des Sumpfes ist das Gebäude der Staatsanwaltschaft. Es war früher die Festung der bulgarischen Kommunistischen Partei in der Stadt Burgas. Es sieht aus wie ein gigantischer Bunker. Es wurde so gebaut, dass es einen direkten Bombenangriff übersteht. Ich habe viele Korruptionsfälle aufgedeckt, in denen öffentliche Gelder missbraucht wurden. Ich habe Beweise vorgelegt, Beschwerden eingelegt, doch diese Fälle verstauben in den Akten hier und keiner wird zu Rechenschaft gezogen. Für mich erfüllt dieses Gebäude die gleiche Funktion in zwei verschiedenen Gesellschaften, nur dass früher die Kommunistische Partei das verbrecherische Regime unterstützt hat und jetzt ist es die Justiz. Heute stehen die bulgarische Staatsanwaltschaft und viele Richter als Schutzschild vor kriminellen Gruppen.“

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Wie viele Eier kann ein Kind tragen?

Bulgarien, Ende der 80er Jahre. Ich war damals sechs Jahre alt. Frech, neugierig und pflichtbewusst! Zu meinen Pflichten gehörte das Einkaufen. Überhaupt, das war damals eben so in Bulgarien, da war Einkaufen einfach die Aufgabe der Kinder – und zwar jeden Tag!

Und so lief ich immer nach der Schule in einen „RUM“ – einen großen, grauen Supermarkt mit halbleeren Regalen: Brot, Feta, Würstchen, Klopapier, Öl, leckere Waffeln als Belohnung für die harte Einkaufsarbeit. Und Eier. Die hatten Schwierigkeitsgrad 5 – auf einer Skala von 1-5! Aber es war auch ein Privileg der „größeren“ Kinder, Eier kaufen zu dürfen. Mein kleiner Bruder zum Beispiel war damals neidisch, er durfte nämlich keine Eier besorgen!

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Korruption nach Öffnungszeiten

Ich stieg in den Bus. Der war voll, aber die Busse, die entlang der Meeresküste fahren, sind immer voll – vor allem im Juli. Der Bus hatte seine besten Jahre schon lange hinter sich, aber zumindest lief er. Die Klimaanlage funktionierte mittelmässig – also nur für die, die direkt unter ihr sassen. Gott sei Dank war ich das. Der Bus fuhr los.

In der ganzen Menschenmenge von sitzenden und stehenden Leuten versuchte eine kleine aber gut geformte Frau durchzukommen. Mit einem Kassiergerät in der Hand und einem Lächeln auf dem Gesicht. Sie hat es bis zu mir geschafft – 3,70 Leva (umgerechnet 1,60 Euro) kostete mich das Ticket bis zu meinem einzigen 2-stündigen Strandaufenthalt in diesem Sommer. Ich zahlte auch mit einem Lächeln – für den Spottpreis würde ich jeden Tag soviel zahlen, hätte ich bloß die Zeit für Rumsitzen am Strand. Egal.

Das Ticket wurde von dem Gerät in ihrer Hand gedruckt und ich konnte mich auf die Fahrt konzentrieren. Ein Kilometer weiter stieg ein anderer Kontrolleur ein – der muss echt bekloppt sein. Ob er es schafft, sich durch diesen überfüllten, nach Schweiss stinkenden Bus zu quälen? Doch Bulgarien tut alles, um die Korruption des kleinen Mannes zu bekämpfen. Er kontrollierte jedes einzelne Ticket gewissenhaft – das Datum, die Busfirma – alles musste auf dem Abdruck stimmen. Hat es auch. Später erfuhr ich, dass er für die Stadt arbeitet, die die privaten Anbieter nun ganz genau unter die Lupe genommen hat. Die Strafen seien hoch, und werden auch in der Tat bezahlt, versichert mir mein Sitzpartner, wenn der Staatliche Kontrolleur auch nur einen einzigen Fehler bei der nichtstaatlichen Kontrolleurin entdecken würde. Ich war so stolz, mein Bulgarien hat die Drohungen aus Brüssel und die Häme aus ganz Europa ernst genommen und geht jetzt richtig hart vor – zumindest da „unten“ in der Gesellschaft. Wehe eine arme Kontrolleurin würde da ein Ticket von 3,70 Leva nicht ausstellen und das Geld in die eigene Tasche stecken. Und so ging ich voller Optimismus baden, dass sich was in unserem Land bewegt.

Nach einem sehr netten Plausch mit Freunden und einer Abkühlung im Schwarzen Meer ging es wieder zurück zu meinen zwei kleinen Jungs nach Burgas. Ich stieg in den Bus ein, hielt brav meine 3,70 in der Hand. Der Bus war halbleer, wer würde bei diesem schönen Wetter schon um 18:30 Uhr zurückfahren wollen. Da kam schon die Kontrolleurin – eine andere, aber auch mit einem breiten Lächeln, nur ohne Ticketgerät. Ich gab das Geld, sie mir gar nichts. Ich fragte: „Und was, wenn der andere kommt, der Staatliche?“ Sie meinte: „Hast du schon auf die Uhr geguckt? Der trinkt bereits irgendwo Bier.“ Sie zwinkerte mir zu und drehte sich um.

Der kleine Hoffnungsschimmer in mir war erloschen. Genauso wie das Geld. Armes, armes Bulgarien, nichts wirst du von meinen 3,70 sehen. Genauso wie du nichts von all den Millionen siehst, die täglich deinem Auge entgehen, du Dummchen.

Russisch für Fortgeschrittene

“Fährt er nach Sozopol?”, fragt mich meine Sitznachbarin auf Russisch. Ja, antworte ich und hoffe, dass sie meine eingerosteten Russischkenntnisse nicht weiter in Anspruch nimmt. Aber sie tut es: Sie sei gerannt, um den Bus zu kriegen. Die Hitze könne sie nicht ausstehen. Wie lange dauere die Fahrt. Ich antworte fleissig auf Russisch und bin von ihrem Lob über mein Russisch geschmeichelt, dass es mir sogar nichts ausmacht, als sie all ihre Einkaufstüten unter meinen Beinen verstaut.

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Das Maß ist voll

Photo via Reddit

Photo via Reddit

Es muss wohl etwas wirklich Bahnbrechendes passiert sein, dass mein Vater jetzt angefangen hat, auf Facebook zu posten. Erst hab ich einen Schreck gekriegt, als ich das total inakzeptable Porträtbild von ihm gesehen habe, das er hochgeladen hat. Aber ich denke mal die schlechte Qualität war ein Zeichen dafür, dass er es wirklich eilig hatte, der Netzgemeinschaft etwas mitzuteilen und keine Zeit hatte für eine überlegte Fotoauswahl. Und Folgendes war zu lesen:

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