Nach den Wahlen ist vor den Wahlen

Die Bulgaren haben vergangenen Sonntag gewählt. Keine große deutsche Zeitung hat darüber berichtet. Zurecht. Ist doch nichts passiert. Aber genau deswegen ist es so wichtig, über diese Kommunalwahlen zu sprechen.

Die Alten sind die Neuen. Die Seilschaften bleiben, werden dadurch nur bestätigt. Die Geschäfte laufen wie gewohnt weiter und Maschinerie aus Korruption und Vetternwirtschaft schnurrt wie ein Kätzchen.

In meiner Geburtsstadt Burgas wurde der Bürgermeister erneut im Amt bestätigt. Zum dritten Mal. Mit 84 Prozent. Wären sie nicht schon längst gestorben, hätte sich der eine oder andere KP-Parteisekretär über so ein Wahlergebnis gefreut. Und viel von Dimitar Nikolov gelernt, wie der erfolgreiche Politiker heißt.

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Mein Staat, der Verbrecher

Vom vierten Stock aus erscheint die große Grube ganz schön gruselig. Wildwuchs, Sumpf, Betonklötze. Sie ist blickdicht eingezäunt. Die Passanten bemerken gar nichts. Deswegen wussten nur wenige, was sich dahinter verbirgt. Nur die Nachbarn, aber auch nur die ab dem 3. Stockwerk. Es war mal eine Garage, hätte eine sein sollen, zur Förderung der städtischen Infrastruktur, dann hat der eine Investor sie verkauft, der nächste hat sie weiterverkauft, am Ende hat irgendjemand viel Geld kassiert und eine Baugrube hinterlassen. Assen Yordanov lehnt sich über seinen Balkon und schaut zur Grube hinab. So enden die meisten Geschäfte in Bulgarien:

„Siehst du da drüben, auf der anderen Seite des Sumpfes ist das Gebäude der Staatsanwaltschaft. Es war früher die Festung der bulgarischen Kommunistischen Partei in der Stadt Burgas. Es sieht aus wie ein gigantischer Bunker. Es wurde so gebaut, dass es einen direkten Bombenangriff übersteht. Ich habe viele Korruptionsfälle aufgedeckt, in denen öffentliche Gelder missbraucht wurden. Ich habe Beweise vorgelegt, Beschwerden eingelegt, doch diese Fälle verstauben in den Akten hier und keiner wird zu Rechenschaft gezogen. Für mich erfüllt dieses Gebäude die gleiche Funktion in zwei verschiedenen Gesellschaften, nur dass früher die Kommunistische Partei das verbrecherische Regime unterstützt hat und jetzt ist es die Justiz. Heute stehen die bulgarische Staatsanwaltschaft und viele Richter als Schutzschild vor kriminellen Gruppen.“

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Mitten im Nichts

Nichts: Substantiv, Neutrum (das Nichts), Synonyme: Leere, Null, Vakuum.

Anders ausgedrückt: Eine Landstraße, wenige Bäume, die in der Hitze Schatten spenden können, Wildwuchs drum herum, kein Trinkwasser, kein Essen, keine Hoffnung weit und breit. Und zwischen diesem Nichts Menschen aus Afghanistan, geflüchtet vor Krieg, vor Elend und Perspektivlosigkeit auf der Suche nach einem neuen Leben in Westeuropa. Doch jetzt sind sie in Serbien, in diesem Nichts, wo sie die Taxis, für die sie gutes Geld bezahlt haben, hierher gebracht haben. Angeblich soll sie ein Bus abholen in Richtung Ungarn, doch dieser kommt nicht und wird auch nie kommen. So funktioniert das Geschäft mit der Hoffnung der Flüchtlinge. Ein Helfer vom Arbeiter-Samariter-Bund Serbien beschreibt die Lage in diesem Nichts wie folgt:

„Now or never“

Offroad Foto: Rayna Breuer

Offroad Foto: Rayna Breuer


Serbien, Belgrad. Donnerstag, 17. September

13.24 Uhr:

Hitze, Hitze, Hitze. Im September. Das kannte ich auch nicht. Bei über 35 Grad gehe ich in den Park neben dem Bahnhof, es ist ein Zwischenstopp für viele Flüchtlinge, die über Mazedonien nach Serbien kommen. Dort verbringen sie ein paar Tage, um dann gen Westen aufzubrechen. Der Park ist nicht so voll wie vor einigen Wochen. Die meisten verstecken sich vor der Hitze in den Zelten oder unter den Bäumen. Leere Wasserflaschen überall. Die gewaschenen Klamotten hängen auf den Parkzäunen.

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Do you wanna play football?

„Hello“, sagt er und kichert. Ich mache die Kamera aus und kichere zurück nicht wissend, was ich sagen soll. „Hello, what’s your name?“, fragt er mich ungeduldig, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Ich antworte: Rayna. „Aha, ok, do you wanna play football?“ Und zeigt auf seinen Freund, der mit dem Ball ein paar Meter weiter weg wartet.

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Wie viele Eier kann ein Kind tragen?

Bulgarien, Ende der 80er Jahre. Ich war damals sechs Jahre alt. Frech, neugierig und pflichtbewusst! Zu meinen Pflichten gehörte das Einkaufen. Überhaupt, das war damals eben so in Bulgarien, da war Einkaufen einfach die Aufgabe der Kinder – und zwar jeden Tag!

Und so lief ich immer nach der Schule in einen „RUM“ – einen großen, grauen Supermarkt mit halbleeren Regalen: Brot, Feta, Würstchen, Klopapier, Öl, leckere Waffeln als Belohnung für die harte Einkaufsarbeit. Und Eier. Die hatten Schwierigkeitsgrad 5 – auf einer Skala von 1-5! Aber es war auch ein Privileg der „größeren“ Kinder, Eier kaufen zu dürfen. Mein kleiner Bruder zum Beispiel war damals neidisch, er durfte nämlich keine Eier besorgen!

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Korruption nach Öffnungszeiten

Ich stieg in den Bus. Der war voll, aber die Busse, die entlang der Meeresküste fahren, sind immer voll – vor allem im Juli. Der Bus hatte seine besten Jahre schon lange hinter sich, aber zumindest lief er. Die Klimaanlage funktionierte mittelmässig – also nur für die, die direkt unter ihr sassen. Gott sei Dank war ich das. Der Bus fuhr los.

In der ganzen Menschenmenge von sitzenden und stehenden Leuten versuchte eine kleine aber gut geformte Frau durchzukommen. Mit einem Kassiergerät in der Hand und einem Lächeln auf dem Gesicht. Sie hat es bis zu mir geschafft – 3,70 Leva (umgerechnet 1,60 Euro) kostete mich das Ticket bis zu meinem einzigen 2-stündigen Strandaufenthalt in diesem Sommer. Ich zahlte auch mit einem Lächeln – für den Spottpreis würde ich jeden Tag soviel zahlen, hätte ich bloß die Zeit für Rumsitzen am Strand. Egal.

Das Ticket wurde von dem Gerät in ihrer Hand gedruckt und ich konnte mich auf die Fahrt konzentrieren. Ein Kilometer weiter stieg ein anderer Kontrolleur ein – der muss echt bekloppt sein. Ob er es schafft, sich durch diesen überfüllten, nach Schweiss stinkenden Bus zu quälen? Doch Bulgarien tut alles, um die Korruption des kleinen Mannes zu bekämpfen. Er kontrollierte jedes einzelne Ticket gewissenhaft – das Datum, die Busfirma – alles musste auf dem Abdruck stimmen. Hat es auch. Später erfuhr ich, dass er für die Stadt arbeitet, die die privaten Anbieter nun ganz genau unter die Lupe genommen hat. Die Strafen seien hoch, und werden auch in der Tat bezahlt, versichert mir mein Sitzpartner, wenn der Staatliche Kontrolleur auch nur einen einzigen Fehler bei der nichtstaatlichen Kontrolleurin entdecken würde. Ich war so stolz, mein Bulgarien hat die Drohungen aus Brüssel und die Häme aus ganz Europa ernst genommen und geht jetzt richtig hart vor – zumindest da „unten“ in der Gesellschaft. Wehe eine arme Kontrolleurin würde da ein Ticket von 3,70 Leva nicht ausstellen und das Geld in die eigene Tasche stecken. Und so ging ich voller Optimismus baden, dass sich was in unserem Land bewegt.

Nach einem sehr netten Plausch mit Freunden und einer Abkühlung im Schwarzen Meer ging es wieder zurück zu meinen zwei kleinen Jungs nach Burgas. Ich stieg in den Bus ein, hielt brav meine 3,70 in der Hand. Der Bus war halbleer, wer würde bei diesem schönen Wetter schon um 18:30 Uhr zurückfahren wollen. Da kam schon die Kontrolleurin – eine andere, aber auch mit einem breiten Lächeln, nur ohne Ticketgerät. Ich gab das Geld, sie mir gar nichts. Ich fragte: „Und was, wenn der andere kommt, der Staatliche?“ Sie meinte: „Hast du schon auf die Uhr geguckt? Der trinkt bereits irgendwo Bier.“ Sie zwinkerte mir zu und drehte sich um.

Der kleine Hoffnungsschimmer in mir war erloschen. Genauso wie das Geld. Armes, armes Bulgarien, nichts wirst du von meinen 3,70 sehen. Genauso wie du nichts von all den Millionen siehst, die täglich deinem Auge entgehen, du Dummchen.

Russisch für Fortgeschrittene

“Fährt er nach Sozopol?”, fragt mich meine Sitznachbarin auf Russisch. Ja, antworte ich und hoffe, dass sie meine eingerosteten Russischkenntnisse nicht weiter in Anspruch nimmt. Aber sie tut es: Sie sei gerannt, um den Bus zu kriegen. Die Hitze könne sie nicht ausstehen. Wie lange dauere die Fahrt. Ich antworte fleissig auf Russisch und bin von ihrem Lob über mein Russisch geschmeichelt, dass es mir sogar nichts ausmacht, als sie all ihre Einkaufstüten unter meinen Beinen verstaut.

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Im Schatten des Fußballs

13. Mai 1990, Stadion Maksimir in Zagreb – die Situation eskaliert, alles gerät außer Kontrolle. Serbische und kroatische Fans und Fußballspieler liefern sich schon vor dem Spiel einen heftigen Schlagabtausch. Ein Vorbote des Krieges, der ein Jahr später ausbrechen soll.

Ähnliche Szene fast 25 Jahre später: Die Gemüter der Fußballfans sind immer noch nicht besänftigt, der Balkan-Konflikt brodelt immer noch unter der Oberfläche. Am 14. Oktober 2014 flog während der ersten Hälfte des EM-Qualifikationsspiels Albanien gegen Serbien eine Drohne über das Spielfeld. An der Drohne hängend eine schwarz-rote Flagge, die die Konturen von Großalbanien aufzeichnet – einem Wunschstaat, der alle Territorien umfasst, wo Albaner leben – also auch Kosovo, Südserbien, Mazedonien etc. Außerdem die Konterfeis zweier albanischer Nationalhelden, die für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft haben. Mehr Provokation und Chauvinismus geht nicht. Mehr Dummheit auch nicht.

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Kroatien – Liebe auf den zweiten Blick

Es war kurz nach den Balkankriegen als meine Familie und ich nach Zagreb gezogen sind. Wir lebten dort bis 2000, und am Ende war alles gut – ich habe Kroatien ins Herz geschlossen und ich fühle mich in Zagreb auch zuhause – aber es hat lange gedauert. Der Anfang war wirklich kein Spaß.

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